Mit zehn Tagen Verspätung

Jens Lang über die Auswirkungen des Coronavirus in Australien
Brisbane
– Gerade hat Jens Lang wieder angefangen, Tischtennis zu spielen. Einmal pro Woche hat sich der gebürtige Bönener, der viele Jahre seiner Jugend für den CVJM Altenbögge und später bei den TTF Bönen in der 2. Bundesliga gespielt hat, vorgenommen, den Schläger wieder in die Hand zu nehmen, nachdem die jüngsten Rückenprobleme im Griff sind.
Doch das Coronavirus macht auch vor Australien nicht halt, wo der 43Jährige seit fast zehn Jahren lebt. Wie fast überall auf der Welt wird das gesellschaftliche Leben auch in Brisbane an der Ostküste des Landes zunehmend herunter gefahren. „Die Anzahl der Infektionen stand am Donnerstag bei 565, es gab sechs Todesopfer“, sagt Lang. „Die Maßnahmen: Es gibt jetzt einen internationalen Flugstopp.
Die Schulen sind zwar noch geöffnet, auch die Cafés. „Aber das ist nur eine Frage der Zeit, wann sich das ändert“, weiß Lang. „Viele meiner Freunde sind im Home Office – man kann sagen, die Maßnahmen kommen bei uns im Vergleich zu Europa zehn Tage verspätet an.“
Angst werde auf dem Kontinent der Kängurus nicht bewusst geschürt, das gesellschaftliche Leben läuft allerdings merklich gedämpfter ab. Die Australier gehen mit Krisen sehr rational um. Die Solidarität ist groß, wie zum Beispiel gerade bei den Buschbränden – Dinge, die ich in Deutschland immer vermisst habe – aber in den Supermärkten gibt es auch hier keine Nudeln mehr, kein Toilettenpapier.“
Dafür wurden getrennte Einkaufszeiten morgens von sieben bis acht Uhr für ältere Menschen und Behinderte eingeführt, um den Kontakt der Risikogruppe mit möglichen Infizierten zu minimieren. Die Einkäufe sind seit Donnerstag aber ebenfalls beschränkt.
Lang ist eine Art Tischtennis-Pionier in Down Under. Bis Ende 2016 arbeitete er als Sportdirektor und Headcoach der Nationalmannschaft für den australischen Tischtennis-Verband, betreute die Teams bei Weltmeisterschaften, wie 2012 in Dortmund, bei Olympia und den Commonwealth Games. Bei letzteren war er 2018 im australischen Gold Coast zuständig als „Sport Competition Manager Table Tennis“. „Da war ich zuständig für alles, was um den Wettbewerb herum stattgefunden hat, vom ‘field of play‘ bis hin zur Erstellung des Zeitplans und der Auslosung“, sagt Lang. Eine aufregende Zeit, „aber danach war ich platt.“
Als dann das Angebot von der Firma Leguano (eine deutsche Firma für Barfußschuhe) kam, die Bereichsleitung für Australien und Neuseeland zu übernehmen, musste der Bönener nur kurz überlegen, ehe er sich für den Abschied aus dem Tischtennissport entschied. „Ich erhoffe, mittelfristig finanzielle Unabhängigkeit zu erzielen“, sagt er. „Aber da geht leider auch gerade alles den Bach herunter. Unser Hauptverkauf ist auf Expos, Messen, Bootshows, auf lokalen und regionalen Märkten. Aber da wird viel abgesagt. Bei einer der größten Messen letzte Woche sind die Verkäufe um 70 Prozent eingebrochen.“
Entsprechend fragt sich auch Lang täglich aufs Neue, wie es weitergeht. „Die Regierung hat ein Förderpaket mit Erleichterungen, die Mehrwertsteuer und zinsfreie Kredite betreffen, auf den Weg gebracht. Ein zweites für das small Business wird es kurzfristig geben“, sagt Lang, der sich nun stärker auf den Onlinemarkt konzentrieren will.
Auch wenn er die Australier eher als Menschen sieht, die dazu neigen, das Problem zu unterschätzen und die Dinge gelassener zu sehen, ist sich der Bönener sicher, dass das Land die Krise meistern wird. „Ich habe es immer schon als angenehmen Unterschied empfunden, dass Leute viel mehr Abstand halten“, sagt er. „Ich erkenne daran, wie sich die Leute am Gepäckband verhalten, in welchem Land ich bin.
In Australien stehen sie respektvoll da, wissen, der Koffer kommt zurück, wenn sie ihn nicht sofort bekommen. In Deutschland stehen sie in drei Reihen, der Schienbeinknochen muss das Metallband berühren, um den Koffer ja nicht zu verpassen. Daher ist es für Australier nicht ganz so schwer, social Distance umzusetzen.“
Dennoch: Wo Angst entsteht, verändern sich Verhaltensweisen. „Panikkäufe gibt es hier teilweise auch“, weiß Lang. „Aber unterm Strich ist es so, dass sich die Menschen gut an Vorgaben halten und Maßnahmen der Regierung umgesetzt werden.
Den Glauben, dass das alles bald vorbei geht, habe ich jedenfalls noch.“  GÜNTER THOMAS