Bönen – Über 1200 Kilometer mit dem Fahrrad, verteilt auf sechseinhalb Wochen und unzählige Erfahrungen. Als Franz-Josef Hürmann am vergangenen Mittwoch am Hammer Bahnhof aus dem Zug stieg, ging für den Routinier der TTF Bönen ein eindrucksvolles Abenteuer zu Ende. Der ehemalige Bundesliga-Spieler hatte Anfang Juli an den 11. Senioren-Europameisterschaften im Tischtennis im finnischen Tampere teilgenommen.
Dabei aber beließ er es nicht: Hürmann hatte die Anfahrt zum Austragungsort in Südfinnland mit dem Rad bestritten und das Land im Anschluss an die Titelkämpfe, die für ihn beinahe mit seiner ersten EM-Medaille geendet hätten (der WA berichtete), noch fast drei weitere Wochen auf zwei Rädern bereist.
„Der Trip war ein Traum“, wusste der TTFler im Anschluss an seine Radtour im XXL-Format zu berichten. „Ich habe mehr erlebt, als ich es vorher je zu träumen gewagt hatte“, so Hürmann. Schon die Anreise in Richtung Tampere, wo vom 29. Juni bis zum 4. Juli die Kontinentaltitelkämpfe stattfanden, war für Hürmann mit zahlreichen Erlebnissen verbunden. Er war über Lengerich, wo er Freunde besuchte, Bremen, wo er einen Halt bei einem seiner Söhne und seiner frisch geborenen Enkelin Hanna machte, und Hamburg schließlich nach Travemünde gestrampelt. Dort setzte er mit der Fähre nach Helsinki über, von wo er die letzten 200 Kilometer bis in die mit knapp 220 000 Einwohnern drittgrößte Stadt Finnlands unternahm, in der er zwei Tage vor Wettkampfbeginn eintrudelte.
Dort stand für den Globetrotter fernab von Ball und Schläger die wohl spannendste Begegnung seiner Reise bevor: die mit seiner Cousine. „Sie ist vor 50 Jahren nach Tampere gezogen, ich hatte sie bestimmt seit 30 Jahren nicht mehr gesehen“, so Hürmann. Auf altbackenem Wege hatte er vor einigen Wochen Kontakt zur fast vergessenen Verwandtschaft aufgenommen: „Ich hatte nur eine uralte Adresse von ihr. Da habe ich ganz klassisch zu Stift und Papier gegriffen“, sagte Hürmann. Die Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Hürmann kündigte seinen Besuch an – und erlebte ein mehr als herzliches Wiedersehen. „Ich war sehr gerührt“, schilderte er das Aufeinandertreffen mit seiner Cousine, „die ich ja eigentlich dort erst richtig kennengelernt habe“.
Weder die kräfteraubende Anreise noch die emotionale Familien-Zusammenkunft hinderten den TTF-Landesliga-Akteur daran, bei der EM sportlich aufzutrumpfen. „Ich bin richtig zufrieden mit dem, was ich gespielt habe“, so Hürmann. In der Doppelkonkurrenz der Ü 60-Jährigen scheiterte er mit seinem württembergischen Partner Josef Schlopath erst im Viertelfinale und damit knapp vor einer Medaille.
Im Einzel des Ü 65-Wettbewerbs spielte sich Hürmann ohne einen einzigen Satzverlust in die Runde der letzten 32, wo es zu einem Aufeinandertreffen der besonderen Art kam – auf das mit Claus Pedersen. Gemeinsam mit dem topgesetzten Dänen hatte Hürmann in den 80er Jahren für den TTC GW Bad Hamm in der Bundesliga gespielt. Dass sich die beiden alten Recken 30 Jahre später an einem vollkommen anderen Fleckchen Erde als gute Bekannte wiedertrafen, erleichterte Hürmann die Drei-Satz-Niederlage erheblich: „Claus hat noch immer einen richtig guten Zug im Ball, das muss ich anerkennen.“
Mit dem ehemaligen Nationalspieler und Senioren-Weltmeister Horst Langer war er in Tampere einem weiteren alten Weggefährten aus Bundesliga-Zeiten über den Weg gelaufen. „Das sind immer schöne Wiedersehen“, so Hürmann. Und obwohl Langer in der Ü 75-Klasse und damit in einem anderen Wettbewerb antrat, konnten es die beiden Altmeister nicht sein lassen: „Wir haben natürlich ein paar Spielchen gemacht“, sagte Hürmann lächelnd.
Apropos ‚Wiedersehen‘: Davon sollte es für den TTFler noch eines geben. In Helsinki hatte Hürmann Bekanntschaft mit dem lappischen Busfahrer Hannu gemacht. „Wenn man alleine unterwegs ist, kommt man ja meist leicht mit Leuten ins Gespräch“, sagte der reiselustige Hürmann, der in der 70er Jahren lange in Amerika lebte. Hannu erzählte Hürmann und sich in seinen Ferien in seine Blockhütte im ostfinnischen Karelien nahe der russischen Grenze aufmachen werde und fragte ob der Fahrradreisende ihm dort einen Besuch abzustatten. Hürmann, der im Anschluss an die Titelkämpfe eigentlich weiter Richtung Norden bis hoch nach Lappland radeln wollte, überlegte nicht zweimal, änderte spontan seine Reiseroute – und sagte zu.
Der pensionierte Lehrer stieg also wieder auf sein Rad. Diesmal für die knapp 450 Kilometer ostwärts durch genauso verlassene wie paradiesische Wälder bis nach Karelien, wo Hürmann das für Skandinavien so typische Leben in einer Holzhütte fernab der Stadt schätzen lernte. Er angelte, saunierte und wanderte, umgeben von der Ruhe und den Weiten im finnischen Nirgendwo. „Ich habe dort unbeschreibliche Eindrücke gesammelt“, sagt Hürmann.
Und er hätte sie am liebsten noch länger gesammelt – doch auf den TTFler warteten Termine in der Heimat. Auch wenn er sich dort nicht lange aufhalten sollte: Schon zwei Tage nach seiner Rückkehr startete Hürmann mit einer Reisegruppe der Tischtennisfreunde ins Kleinwalsertal, wo die Bönener zum 15. Mal auf der Zaferna-Hütte Station machten. Für Hürmann heißt es also: Nach der Reise ist vor der Reise. – jan